Der Arbeitsplatz Marianne Brandts in der Metallwerkstatt des Bauhauses sah erheblich anders aus, als wir uns heute das Studio eines Designers vorstellen. Es war damals eher eine Art Kunstschmiede, die sich uns auf einem Foto aus der ersten Hälfte der zwanziger Jahre zeigt.
Marianne Brandt schrieb mit Bleistift später unter dieses Foto den lapidaren Satz: „Das war mein Arbeitsplatz. M.B.“ Man kann aus dem Foto und auch aus späteren Berichten der Künstlerin schließen, dass vorwiegend in mühsamer Treibarbeit die Gefäße und Gegenstände ihre Gestalt erhielten. Die ersten Exemplare des legendären Tee-Extraktkännchens MT 49 von Marianne Brandt zeigen die ausdrucksvollen Spuren des Treibwerkzeugs auf der Materialoberfläche, es ist sowohl in Silber als auch in einer Tombak-Ausführung und in Messing – jeweils innen versilbert – aus der Hand der Künstlerin überliefert.
Die unantastbare und unwiederholbare Vollendung der Gestalt als klarer Ausdruck des Gebrauchs ist in diesem Bauhausmodell Marianne Brandts zu einer Legende der Formgebung geworden: Die Einheit, ja, die ideale Verschmelzung von Formausdruck und Gebrauchszweck, lässt uns die künstlerische Persönlichkeit der Entwerferin ahnen.
Hier wie auch in ihren späteren Arbeiten in der Metallwerkstatt, Tischgerät, Lampen vor allem, äußert sich plastisch maßvolles Empfinden. Es legt nicht kühl und unpersönlich „errechnete“ Proportionen zugrunde, sondern erwächst stilsicherer Individualität. Dabei ist es durchaus nicht naheliegend, künstlerische Subjektivität auf den ersten Blick auszumachen, lange Zeit galten auch Marianne Brandts Entwürfe als „Bauhaus-Handschrift“ schlechthin. Zumal auf sie personell zutreffen kann, was der Gründer des Bauhauses, Walter Gropius, als summarische Zusammenführung von Eigenschaften und Tätigkeiten forderte: Der Bau vereine alle gestaltenden Arbeiter – vom einfachen Handwerker und Arbeiter bis zum außerordentlichen Künstler.
Marianne Brandt war Handwerkerin und überdies äußerst fleißige Arbeiterin in der Metallwerkstatt und – sie war außerordentliche Künstlerin. Vielleicht ist es eine Ahnung von dieser persönlich unverwechselbaren Designer-Handschrift, wie wir heute sagen würden, die uns fasziniert. Denn wir bedenken durchaus, dass Modellentwürfe, wie sie etwa computersimuliert und in Idealmaßen programmiert als endlose Reihen am Rechner entstehen, damals nicht zu machen waren und das sichere Gefühl für die Form hart errungen werden musste.
Wir wissen von unzähligen Entwürfen in der Metallwerkstatt. Die – vor allem von den Studenten, sie nannten sich Lehrlinge – endlos diskutiert wurden. Es blieb nicht immer so, wie es anfangs bei Marianne Brandts Tafelgerät gewesen war. Sie selbst entgegnete in einer öffentlichen Polemik dem Vorwurf, die Metallwerkstatt am Bauhaus Dessau fröne einer Art „Bauhaus-Stil“. Marianne Brandt, zu jener Zeit als Leiterin der Metallwerkstatt eingesetzt, verweist auf die wissenschaftliche Grundlagenarbeit vor dem Entwurf neuartiger Bauhaus-Lampen. Das gründliche Studium der Lichtkurven, die Untersuchung technologischer Voraussetzungen bei den Industriepartnern hatte sich vornehmlich Marianne Brandt selbst als persönliche Verpflichtung auferlegt. Sie machte sich selbst an Ort und Stelle in der Industrie vertraut mit den Voraussetzungen der Wirtschaftlichkeit der Produktion der Entwürfe.
Marianne Brandt – ein frühmoderner Typ der Designerpersönlichkeit? Es wäre nicht von der Hand zu weisen, dieser Mutmaßung nachzugehen. Schliesslich haben sich nur Methoden und wissenschaftliche und technische Voraussetzungen geändert. Die Formgestalt der Erzeugnisse als primäres Erscheinungsbild ihrer Funktion ist ein gleichrangiges Qualitätsmerkmal moderner Serienprodukte. Nach wie vor gilt die Bauhaus-Forderung von serieller Vervielfältigung und Wirtschaftlichkeit des Gestaltvorschlags, der auf der Höhe der funktionellen Gebrauchsparameter sein muss. Und zwar nicht als Folge des Entwurfs, sondern als dessen Voraussetzung. Es war einseitige Verkennung Marianne Brandts bis in die jüngste Zeit, ihre „geistvollen“ Tee- und Kaffeeservices als Zeugnisse ihrer künstlerisch-gestalterischen Meisterschaft zu bevorzugen. Verfolgt man ihre Arbeit bis in die letzten Tage ihrer Bauhaus-Zeit, so kommt gerade dieser ihr unermüdlicher Einsatz für Industriekooperation und massenweise Anwendbarkeit der Produktentwürfe einer Vorwegnahme heutiger Designerpflicht gleich.
Was läge näher für junge Designer, als in der Geschichte ihrer Zunft solche Anhaltspunkte gründlich und kritisch zu bewerten? Gewiss sind die Zeiten des „Vorbildwesens“ längst vorbei. Die eigene Erfahrung ist die unersetzliche. Aber das Erstaunen über die Erkenntnis heutiger Prinzipien schon vor Zeiten, gewissermaßen als spontanes Erfordernis der Geburtszeit modernen Designs, kann durchaus lehrreich sein. Zumal Erkenntnis weniger aus theoretischen Erörterungen Marianne Brandts – die ihr übrigens nach eigenem Eingeständnis gar nicht lagen – erwächst, sondern aus unverwechselbarem Vor-Bild, das sich freilich mehr erfühlen als analysieren lässt. Analog ist Ähnliches auch von ihren Meisterfotos und Collagen zu sagen.
Ein Design-Wettbewerb in ihrem Namen kann sich wohl auf die exponierten Leistungen der Künstlerin berufen, sie als Maßstab anerkennen lassen und daraus Anhaltspunkte beziehen. Aber den letzten Ausschlag, es ist und bleibt so, gibt immer noch die künstlerische Persönlichkeit, die sich neuen Entwurfsarbeiten integriert.